Veranstaltung: | Wahlprogramm 2021: Strafvollzug |
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Antragsteller*in: | Schreibgruppe (dort beschlossen am: 17.07.2020) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 20.07.2020, 16:53 |
Antragshistorie: | Version 1 |
A1NEU2: Wahlprogramm 2021: Strafvollzug
Text
Strafvollzug
Unsere Vision für 2050 beinhaltet weniger Kriminalität in Berlin und deshalb
weniger Gefängnisinsassen und zudem eine deutlich bessere Möglichkeit der
Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Der Strafvollzug bedarf hierfür einer
Überarbeitung, die die neusten Erkenntnisse aus der Kriminologie berücksichtigt
und zudem nachhaltig ist. Notwendig sind hierfür folgende Maßnahmen und
Meilensteine.
Resozialisierung
Der Strafvollzug in Berlin muss weiter verstärkt vor dem Hintergrund der
Resozialisierung gestaltet werden. Als einer der wichtigsten Strafzwecke sieht
die Resozialisierung die Wiedereingliederung von Menschen in die soziale
Gesellschaft vor, nachdem diese straffällig geworden sind.
Meilenstein 2035: Strukturen für erfolgreiche Resozialisierung stärken
Nur durch eine wirksame Resozialisierung ist die Bevölkerung effektiv vor
Straftaten geschützt. Die derzeitigen Strukturen im Strafvollzug sind derzeit in
Teilen nicht ausreichend, um eine wirksame Resozialisierung zu ermöglichen.
Ein erster Schritt ist, die Haftanstalten zu verpflichten, so früh wie möglich
mit Hilfseinrichtungen außerhalb des Gefängnisses, zumindest ein Jahr vor der
Entlassung, die im Regelfall nach 2/3 der Freiheitsstrafe erfolgen muss, Kontakt
aufnehmen, um ein wirksames Übergangsmanagement sicherzustellen. Kriminologische
Forschungen zeigen, dass gerade das im ersten Jahr nach der Entlassung das
Rückfallrisiko hoch ist und die Gefangenen daher unterstützt werden sollten.
Deshalb müssen zunächst alle Akteure wie die Straffälligen-, Bewährungshilfe,
Jugendgerichtshilfe und Strafvollzugsanstalten besser vernetzt und die dabei ein
gemeinsames Resozialisierungskonzept verfolgt werden.
Erfolgreiche Resozialisierung setzt zudem entsprechende Unterstützung und
Schulung des Personals voraus. Deshalb sind die Karrieremöglichkeiten im
Strafvollzug zu verbessern (Schaffung gehobener Laufbahn im allgemeinen
Vollzugsdienst). Hierfür ist auch der Personalaustausch zwischen Gefängnis und
der Justiz zu ermöglichen, etwa von Sozialarbeiter*innen,
Verwaltungsbeamt*innen, Psychlog*innen, Vollzugspersonal (Wachpersonal bei
Gericht), die auch außerhalb des Gefängnisses eingesetzt werden sollten. Der
dauerhafte Aufenthalt in Haft belastend sein kann und auch das Bild auf die
Gesellschaft verfälscht. Wir haben im Vollzug einen hohen Krankenstand, dem man
auch durch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen entgegenwirken wird. Dazu
gehört aber auch, dass man neben dem Vollzug noch weitere Einsatzmöglichkeiten
erhält, da so auch die Motivation erhöht werden kann.
Auch das Zusammenwirken auf behördlicher Ebene ist zu stärken. Dabei muss auf
jeder Ebene geschaut werden, wie der Resozialisierungsprozess gefördert werden
kann, möglichst unter der Vermeidung einer Haftstrafe. Durch Absehen von
Haftstrafen lassen sich im Übrigen auch kriminelle Strukturen, wie etwa
rechtsextreme Straftaten, besser erkennen. Dafür werden wir in Berlin ein
Resozialisierungsgesetz vorlegen, welches alle Akteure wirksam vernetzt und ihre
Zuständigkeit klar regelt, wobei hohe datenschutzrechtliche Standards
einzuhalten sind, um die Rechte der Betroffenen wirksam zu schützen.
Maßnahme 2026: Resozialisierung innerhalb des Gefängnisses
Wir wollen die Maßnahmen zur Förderung der Resozialisierung innerhalb der
Gefängnisse insgesamt stärken. Dazu zählt, sicherzustellen, dass Kontakt nach
außen ermöglicht wird, da dies die Gefangenen darin unterstützt, sich nach der
Entlassung möglichst schnell wieder in die Gesellschaft eingliedern zu können.
Zudem sind Bildungs- und Qualifikationsmaßnahmen im Vollzug auszubauen. Hierzu
zählt auch die Möglichkeit, dass die Gefangenen mehr Angebote erhalten, Deutsch
zu lernen. Ein moderner Justizvollzug findet in modernen Räumen statt. Daher
wollen wir die Berliner Gefängnisse sanieren und die bauliche Struktur
flächendeckend auf moderne Standards heben. Dabei sind die ökologischen Aspekte,
die sich aufgrund der Nähe von Arbeit und Wohnen in den Justizvollzugsanstalten
bieten, zu nutzen.
Maßnahme 2026: Zugang zum offenen Vollzug verbessern
Dies gelingt bereits jetzt wesentlich besser im offenen Vollzug. Erfolgreiche
Projekte wie der offene Vollzug müssen beibehalten werden. Dazu soll die
Berliner Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung
prüfen, wie der Zugang zum offenen Vollzug für geeignete Gefangene verbessert
werden kann.
Maßnahme 2026: Kommunikationsmöglichkeiten stärken
Zudem müssen für Gefangene, die (noch) nicht für den offenen Vollzug geeignet
sind, die Kommunikationsmöglichkeiten nach außen verbessert werden. Dazu sind
erfolgreiche Projekte – wie etwa das Projekt der Senatsverwaltung
“Resozialisierung durch Digitalisierung” (Internet im Strafvollzug) – dauerhaft
zu etablieren und neben den bereits gesenkten Telefontarifen auch Flatrate-
Modelle zu etablieren, damit sich die Gefangenen das Telefonieren auch leisten
können. Es gibt keinen Grund, Gefangenen, bei denen ein Missbrauch nicht zu
befürchten ist, die Nutzung des Internets zu untersagen. Das gilt nicht zuletzt,
da die Eingliederung in die Gesellschaft ansonsten nahezu unmöglich ist: der
Umgang mit dem Internet wird mittlerweile in allen gesellschaftlichen Bereichen
verlangt. Darüber hinaus gewährleistet auch nur eine klar geregelte
Internetnutzung die effektive Umsetzung des Grundrechts auf Informationsfreiheit
im digitalen Kommunikations- und Informationszeitalter. Auch wollen wir Besuche
über Videotelefonie weiter ausbauen.
Meilenstein 2035: Resozialisierung außerhalb des Gefängnisses
Resozialisierung findet jedoch überwiegend in Freiheit statt. Egal wie gut die
Voraussetzungen für die Resozialisierung in Haft geschaffen werden, sie müssen
auch außerhalb der Haft ein Äquivalent finden, da sonst die Resozialisierung
nicht erfolgreich sein wird; schließlich integriert man sich nach der Entlassung
in die Gesellschaft und nicht davor.
Daher sind die Bewährungshilfe und die freien Träger der Straffälligenhilfe
weiter konsequent zu stärken, damit außerhalb des Vollzuges die Resozialisierung
von straffälligen Menschen weiterhin effektiv umgesetzt und verbessert werden
kann.
Neben bereits in der Praxis etablierten Projekten wollen wir auch neue Projekte
umsetzen und dabei auf neue und erfolgreiche Ansätze zurückgreifen, um auch in
Berlin die Rückfallraten langfristig und nachhaltig zu reduzieren, etwa durch
eine stärkere Einbindung von Externen im Vollzug. Im Ausland haben sich Ansätze,
bei denen ehemalige Inhaftierte in die Straffälligenhilfe integriert worden
sind, als sehr wirksam erwiesen. Diese Menschen haben einen ganz anderen Zugang
zu Menschen, die Straftaten begehen und können viel konkretere Ratschläge geben
als Menschen, die selbst diese Erfahrung nicht gemacht haben. Sie können daher
eine sehr gute Ergänzung zu der bestehenden sozialen Arbeit sein. Entsprechende
Projekte sind daher in Berlin zu etablieren.
Maßnahme 2026: Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen erhöhen
Für eine Freiheitsentziehung auf Grund gerichtlicher Entscheidung gewährt der
Staat eine Entschädigung, sofern die Freiheitsentziehung letztlich zu Unrecht
erfolgt ist, das heißt, wenn in einem Strafverfahren ein Freispruch oder die
Einstellung des Verfahrens erfolgt ist oder die Eröffnung der Hauptverhandlung
abgelehnt wurde.
Diese Pauschale wurde im Jahre 2009 von € 11 auf € 25 erhöht. Eine weitere
Anpassung ist in den Folgejahren nicht erfolgt. Diese Entschädigung erachten wir
für zu gering! Es ist aus unserer Sicht dringend geboten, eine Erhöhung alsbald
herbeizuführen, nachdem nunmehr bereits seit über zehn Jahren keine Anpassung
erfolgt ist. Wir begrüßen, dass auf Initiative des Bundesrates im Bundestag
derzeit eine deutliche Erhöhung der Entschädigung für zu Unrecht erfolgte
Strafverfolgungsmaßnahmen auf € 75 auf den Weg gebracht wird. Wir werden uns
dafür einsetzen, dass dieser Betrag weiter erhöht wird. . Nur so kann dem
Genugtuungs- und Anerkennungsgedanken des § 7 Abs. 3 StrEG angemessen Rechnung
getragen werden.
Alternativen zur Haft ausbauen
Maßnahme 2026: Mehr Fortbildung von Richter*innen in Strafvollstreckungskammern
Lange Gefängnisaufenthalte sind nicht nur teuer, sondern erschweren es den
Menschen, sich in wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Daher wollen wir die
vorzeitige Entlassung zur Zwei-Drittel- / Halb-Strafe steigern, die in Berlin
noch viel zu wenig thematisiert wird. Richter*innen müssen besser auf die Arbeit
in den Strafvollstreckungskammern vorbereitet werden, etwa im Rahmen von
Fortbildungen mit kriminologischem Inhalt. Auch müssen die Gefängnisse
ausreichende Bedingungen schaffen, damit eine vorzeitige Entlassung möglich ist.
Maßnahme 2026: Alternativen zur Ersatzfreiheitsstrafe schaffen
Zudem braucht es Alternativen zur Ersatzfreiheitsstrafe, um diese möglichst zu
vermeiden. So sind neue Ansätze der Straffälligenhilfe zu stärken und Ideen aus
anderen Ländern aufzugreifen. Hierzu zählt Projekte wie „Arbeit statt Strafe“
weiter auszubauen. Das Land Berlin hat aufgrund dieses Projektes 2018 elf
Millionen Euro eingespart und es gibt noch weiteres Einsparpotenzial, wenn
Gefängnisstrafen vermieden werden. Ersatzfreiheitsstrafen sollen nur in
absoluten Ausnahmefällen stattfinden, da die mit der Strafe verfolgten Zwecke,
zum Beispiel Resozialisierung, während dieser kurzen Zeit nicht erreicht werden
können.
Maßnahme 2026: Im Bundesrat auf eine Übergangsregelung zur Ersatzfreiheitsstrafe
hinwirken
Zwei Tagessätze einer Geldstrafe, der nicht geleistet werden kann, soll in einen
Tag Freiheitsstrafe umgewandelt werden. Der Freiheitsentzug trifft sie
wesentlich härter als die Zahlung eines Geldbetrages. Gleichzeitig werden durch
den Vollzug dieser Ersatzfreiheitsstrafe auch Ressourcen der Justiz
verschwendet, die eigentlich für die Resozialisierung von Menschen zu Verfügung
stehen sollten, die schwere Delikte begangen haben. Daher sollte ein Tag Haft
zwei Arbeitstagen entsprechen. Die Haftstrafe und die Kosten wären damit
halbiert.
Maßnahme 2026: Neue Ansätze der Konfliktbeilegung prüfen und voranbringen
Wir wollen Konflikte, die zu Straftaten führen, möglichst nachhaltig lösen. Dazu
gibt es in verschiedenen Ländern bereits Ansätze, die unter dem Begriff
Restorative Justice zusammengefasst werden. Hier geht es darum, Konflikte im
Dialog zu lösen und dauerhaft zu befrieden. In Deutschland gibt es dies bereits
in Form des Täter*innen-Opferausgleichs. Diesen wollen wir stärken und prüfen,
inwieweit Ansätze von Restorative Justice in die Justiz integriert werden
können.
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